Gerhard Rötzer
Labrador, Big Love
Reise
978-3-934983-55-7
146 Seiten, Paperback
18,00
Leseprobe:
Die Cree Indianer leben in den borealen Wäldern entlang der Hudson Bay bis zur Tundra im Norden. Sie lebten immer schon vom Jagen und Fischen. In den Wäldern gab und gibt es genügend Wild, in den vielen Flüssen besten Fisch. Sie sind bis heute sehr in ihrer Kultur verwurzelt. Circa dreißig Prozent leben das ganze Jahr über im Busch, die anderen ein halbes Jahr. Die Erfahrung im Umgang mit Weißen, z.B. mit den Mitarbeitern der Hudsons Bay Company, ist der heutige Erfolgsgarant für ihr Wohlergehen.
Ganz anders ist es um die Innu bestellt. Im Gebiet der heutigen Provinz Labrador bis an die Küste des Sankt Lorenz Golf jagten sie Karibus. Sie folgten nomadisierend den Herden. Das Fleisch war die Nahrungsgrundlage, das Fell diente als kälteisolierende Kleidung und als schützendes Zelt. Ohne Vorwarnung wurden ihre Jagdgründe für ein gigantisches Wasserreservoir zur Elektrizitätsgewinnung geflutet. Sie haben und hatten keine Fürsprecher. Heute führen sie ein schwer verständliches Dasein in einigen zugewiesenen Dörfern. Wenige dünne Aufsätze, versteckt in Archiven, berichten vo ihrem ehemaligen täglichen Überlebenskampf und der Vertreibung durch Migranten aus Europa.
Die Inuit oder auch Eskimos stellen die größte indigene Bevölkerungsgruppe. Sie leben seit Jahrtausenden an den nahezu vegetationslosen, unwirtlichen Küstenabschnitten der Labrador Halbinsel. Sie lebten überwiegend von Robben, Walen, Walrössern und Eisbären. Die Felle wurden handwerklich perfekt zu Kleidungsstücken verarbeitet. Den neun Monate langen Winter verbrachten die Familien in Iglus aus Schnee. Frühe Missionare kümmerten sich um die Menschen, sie wurden ihre Fürsprecher. Heute haben sie sich Selbstbestimmungsrechte erkämpft und leben einvernehmlich mit der Kultur der Weißen. Sie sind stolz auf den Namen, er wird üblicherweise mit wir sind die Menschen übersetzt.
… …
Das felsige Cape Norman markiert den nördlichsten Punkt Neufundlands und die Einfahrt in die Labrador Strait vom Norden. Die Fahrt durch die Meeresenge, anstatt um die Insel Neufundland, verkürzte die Reise um zwei Tage. Viele Schiffe aus Europa sowie die kanadischen Postschiffe nutzten diesen Vorteil. Gleichwohl strandeten immer wieder Schiffe aufgrund von Sturm, Nebel und Eisdriften. Schließlich einigten sich die Regierung und die Provinz 1870 einen Leuchtturm mit einem dampfgetriebenen Nebelhorn zu bauen. Heute präsentiert sich der schmucke, weiße Turm schon von weitem.
Und genau dort wollte Helga übernachten, die Küstenlinie von Labrador vor Augen. Mit der anfänglichen Beschaulichkeit war es bald vorbei. Zunächst waberten uns Nebelfetzen entgegen, nach einer Stunde kam ein Orkan auf. Mittlerweile undurchsichtiger Nebel, ein Höllenlärm aus einer Kombination von brüllenden Böen und regelmäßigen tiefen Bässen des Nebelhorns hielt uns unter Spannung. Das Kisterl schwankte mit dem Sturm. Wir hatten uns und den nicht gesicherten Teil der Einrichtung festzuhalten.
Am nächsten Morgen, es ist ganz ruhig und still wie wenn nichts gewesen wäre, parkt ein Auto neben uns. Warren Campbell, der amtierende Lighthousekeeper begrüßt uns freundlich, fast mitleidig. Die schlaflose Nacht hat er uns sicher angesehen. Wir kommen ins Gespräch.